Die Vorteile der höheren Berufsbildung brauchen mehr Aufmerksamkeit
Die Corona-Pandemie ist immer noch allgegenwärtig und beeinflusst das gesamte Leben und damit auch die Bildung. Die Professur für Bildungssysteme an der ETH Zürich führt seit April 2020 Umfragen bei Lehrbetrieben durch, erstellt monatliche Berichte und veröffentlicht auch Detailberichte zu ausgewählten Aspekten rund um die Berufslehren in der Schweiz¹. Im August wurde eine Vertiefungsstudie publiziert, die Auskunft gibt über den «Informationsstand und Entscheidungsprozess zu weiterführenden Ausbildungen»². Dabei geht es um das Aus- und Weiterbildungsverhalten junger Erwachsener, welche eine Berufslehre abgeschlossen haben. Die Studie ist interessant für Personen, die sich für die höhere Berufsbildung engagieren, gilt es doch, deren Wert für Wirtschaft und Gesellschaft noch besser bekannt zu machen, weshalb im Folgenden wesentliche Elemente aus der Studie zusammengefasst werden.
Dieser Bericht ist entnommen aus dem ODEC_Bulletin 3-2020 Seite 4 - 6.
Von Ursula Renold, Thomas Bolli, Ladina Rageth und Aranya Sritharan*
Die Professur für Bildungssysteme hat in Zusammenarbeit mit dem Lehrstellenportal Yousty das Ausbildungsverhalten junger Erwachsener in der Deutschschweiz untersucht. Zwischen September 2019 und Januar 2020 haben über 500 Personen zwischen 18 und 35 Jahren zu verschiedensten Aspekten ihres Ausbildungsverhaltens Fragen beantwortet. Sie alle verfügen über einen Berufslehrabschluss. 17 Prozent der Befragten verfügen bereits über einen Abschluss der höheren Berufsbildung (Berufsprüfung, Höhere Fachprüfung oder Höhere Fachschule). 7 Prozent der Befragten haben einen Hochschulabschluss und 9 Prozent noch eine weitere Ausbildung auf der Sekundarstufe II absolviert. 34 Prozent der Befragten absolvierten ein Sprachdiplom. Sie haben im Durchschnitt bereits 4 Jahre Berufserfahrung und sind mit einem Pensum von 90 Prozent angestellt. 35Prozent der Befragten haben bereits Vorgesetztenfunktion.
Derzeitige und geplante Ausbildungen
Ziel der Befragung war es, die Entscheidungsprozesse der jungen Erwachsenen hinsichtlich ihres Aus- und Weiterbildungsverhaltens zu untersuchen. Um dabei möglichst genaue Informationen erheben zu können, werden die Ausbildungen analysiert, die von den Befragten gerade absolviert werden oder für die Zukunft geplant sind. Das lebenslange Lernen, wie es gemäss Berufsbildungsgesetz (BBG 2002, Art. 15, Abs. 2, Lit. D) gefördert werden soll, scheint bei einer grossen Mehrheit umgesetzt zu werden. 62 Prozent der Befragten machen oder planen zum Befragungszeitpunkt eine Ausbildung. Dabei entscheiden sich die Befragten am häufigsten für einen Bachelor oder Master an einer Fachhochschule (23Prozent). Mit 16 Prozent wird am zweithäufigsten ein Abschluss einer Höheren Fachschule angestrebt, darauf folgen die Berufsmaturität (14 Prozent) und die Berufsprüfung (12 Prozent).
Die Resultate zeigen, dass es im Durchschnitt fast neun Monate dauerte, bis sich die Befragten für eine Ausbildung entschieden haben. Die Dauer nimmt mit dem Alter zu. Der Entscheidungsprozess, eine weiterführende Bildung zu absolvieren, wird im Durchschnitt als eher nicht bis mittel belastend wahrgenommen. Interessant ist zu erkennen, dass die wichtigsten Gründe für die Entscheidung, eine weitere Ausbildung zu absolvieren, auf intrinsischer Motivation basieren oder auf die Weiterentwicklung der persönlichen Karriere ausgerichtet sind. Einflüsse des Umfelds scheinen dabei weniger wichtig zu sein. Die beiden wichtigsten Gründe für die Aufnahme einer Ausbildung sind für die Befragten das persönliche Interesse am Bildungsinhalt und die besseren Karrierechancen.
Informationsstand
Was Bildungspolitikern und Laufbahnberatern zu denken geben muss, ist die Erkenntnis, dass für die Befragten, die keine Ausbildung machen oder planen, das wichtigste Hindernis darin besteht, dass sie die richtigen Informationen nicht gefunden haben. Weiter sind die Distanz zwischen Ausbildungs-, Wohn- und Arbeitsort sowie die Vereinbarkeit mit der Familie ebenfalls wichtige Hindernisse.
Der lange Entscheidungsprozess und die hohe Bedeutung der Informationssuche werfen die Frage auf, wie gut die jungen Erwachsenen über die Ausbildungsmöglichkeiten informiert sind und welche Quellen dabei genutzt werden. Die Einschätzungen der Befragten zu dieser Frage sind relativ optimistisch. Allerdings könnten diese subjektiven Einschätzungen trügerisch sein. Um dies herauszufinden, hat die Autorengruppe zwei Indikatoren für den Informationsstand der Befragten analysiert. Der erste objektive Indikator erhebt, wie genau die Befragten die Löhne von verschiedenen Absolventen und Absolventinnen einschätzen können. Dabei unterschätzen die Befragten den Lohnunterschied zwischen Personen mit einem EFZ und solchen mit einer Tertiärausbildung (Höhere Berufsbildung, Fachhochschule oder universitäre Hochschule) substanziell. Die Fehleinschätzungen sind am stärksten für Absolventen und Absolventinnen einer höheren Berufsbildung. Die Unterschätzung ist etwas tiefer für ein universitäres Hochschulstudium und am tiefsten für Fachhochschulen. Diese Fehleinschätzungen sind wichtig, da der erwartete Lohnzuwachs eine wichtige Rolle dabei spielt, ob und welche Ausbildung jemand machen will. Dieses Resultat hat uns insofern erstaunt, als dass zumindest der ODEC regelmässige Salärumfragen publiziert. Es stellt sich also die Frage, wie diese wichtigen Informationen noch besser die Zielgruppen erreichen können.
Zulassungsbedingungen zu höheren Bildungswegen
Der zweite objektive Indikator testet das Wissen der Befragten darüber, ob sie zum Befragungszeitpunkt ohne weitere Auflagen für die verschiedenen weiteren Ausbildungen zugelassen sind oder nicht. Die Ergebnisse zeigen, dass auch diesbezüglich ein substanzielles Informationsdefizit existiert. Dies kann man erstens an den hohen Anteilen der Befragten sehen, die unsicher sind bezüglich der Erfüllung von Zulassungsvoraussetzungen. Besonders ausgeprägt ist dies bei Ausbildungen, die eine gymnasiale Vorbildung verlangen. Zweitens ist der Anteil an falschen Antworten betreffend die richtige Einschätzung der notwendigen Zulassungsvoraussetzungen beträchtlich. Zudem überschätzen die Befragten tendenziell ihre Möglichkeiten, was die Zulassung zu höheren Bildungsgängen betrifft. Am besten können die Befragten ihre Zulassung zur Fachhochschule einschätzen, während sie eher schlecht informiert sind betreffend Zulassungsbedingungen zu den Ausbildungen der höheren Berufsbildung.
Zu guter Letzt sollten die Befragten angeben, wie sie sich über verschiedene Ausbildungen informieren. Wenig überraschend wird das Internet als wichtigste Informationsquelle bewertet. Wichtig sind zudem Informationsveranstaltungen von Schulen und Hochschulen sowie Informationsmaterialien. Ebenfalls von Bedeutung sind Auskünfte von Personen im Umfeld, wie der Familie oder Arbeitskolleg*innen. Traditionelle Medien – wie Zeitungen, Zeitschriften, Magazine, Fernseher oder das Radio – aber auch soziale Medien sind weniger wichtige Informationsquellen für die Befragten.
Schlussfolgerungen
Die Ergebnisse der Studie sind insofern relevant, als dass diese Fehleinschätzungen die Befragten möglicherweise davon abhalten, zum Beispiel eine höhere Berufsbildung in Angriff zu nehmen. Hinzu kommt, dass die Befragten weniger gut einschätzen können, ob sie für eine bestimmte weitere Ausbildung zugelassen sind oder nicht. Viele sind unsicher oder überschätzen ihre Möglichkeiten. Auch dies ist ein mögliches Hindernis bei der Wahl bestimmter Ausbildungen. Die Befragten wissen besser Bescheid über die Zulassungsbedingungen bei den Fachhochschulen als bei der höheren Berufsbildung. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass bei den Höheren Fachschulen, Berufsprüfungen und Höheren Fachprüfungen die Bedingungen zwischen den einzelnen Ausbildungen variieren und deshalb komplizierter bzw. weniger eindeutig sind als bei den Fachhochschulen und universitären Hochschulen.
Die Befunde zeigen, dass es empfehlenswert wäre, wenn bezüglich der Karrieremöglichkeiten durch die höheren berufsbezogenen Bildungswege besser informiert würde. Im Weiteren reicht es nicht, nur über die Vielzahl der weiterführenden Bildungsmöglichkeiten zu orientieren. Wichtig wäre es, dass man die Erwartungskongruenz zwischen notwenigen und vorhandenen Zulassungsvoraussetzungen stärker thematisiert. Wir hoffen, Sie, liebe*r Leser*in ermutigt zu haben, die Studie als Ganzes zu lesen und Inspiration zu erhalten, wie man die höhere Berufsbildung stärken kann.
*Team Professur für Bildungssysteme CES,
Departement MTEC, ETH Zürich,
www.ces.ethz.ch
¹Siehe www.LehrstellenPuls.ch oder https://ces.ethz.ch/de/forschung/lehrstellenpuls.html
²Bolli, Th., Rageth L., Renold, U., Sritharan, A. (2020). Informationsstand und Entscheidungsprozess zu weiterführenden Ausbildungen. CES Studien Nr. 5, Juli 2020.