«Der Kontakt in die ganze Welt hat mich schon immer gereizt»
Ursprünglich waren ein paar Monate in China geplant. Nun arbeitet und lebt René Limacher bereits zwölf Jahre in Shanghai. Ein spannender Bericht über seinen Werdegang, seine Erfahrungen, über Unterschiede in Geschäftspraktiken, Alltagssituationen und im Umgang mit Pandemien.
Mit René Limacher* sprach Jsabelle Tschanen
René Limacher, Sie sind Head Transit Management Competence Center China bei der Schindler Group. Was sind Ihre Kernaufgaben?
Mein Team und ich sind verantwortlich für das Produkt «Schindler PORT» in China. Schindler PORT-Technologie ist eine Zielrufsteuerung für Aufzüge. Die Technologie ermöglicht, dass vor dem Betreten des Aufzuges für jeden Gebäudenutzer der effizienteste Weg zum Ziel im Gebäude berechnet wird. Das geht via Touchscreen oder per Mobiltelefon. So kann durch den Einsatz von Schindler PORT in allen Gebäuden, in denen mehr als ein Aufzug erforderlich ist, eine bedeutende Verbesserung in Sachen Funktionalität und Leistung erzielt werden. Wir sind verantwortlich für Verkauf und Marketing und für alle technischen Belange, wie Ausarbeitung der technischen Lösungen, Trainings sowie Fehlerbehebungen vor Ort.
Das heisst, wir arbeiten unter anderem mit Verkaufs- und Marketingabteilungen, Feldtechnikern, Qualitätsabteilung etc. zusammen sowie auch mit Pendant-Teams auf der ganzen Welt. Ein sehr wichtiger Kontakt ist auch die Entwicklungsabteilung in der Schweiz.
Der Firma Schindler sind Sie treu. Bereits Ihre Lehrzeit haben Sie als Elektroniker bei ihr absolviert. Welche Vorteile brachte es, bei derselben Firma zu bleiben?
Die Firma Schindler stellt ihren Mitarbeitenden eine Vielfalt an Entwicklungsmöglichkeiten zur Verfügung. Neben internen und externen berufsorientierten Trainings erhielt ich Unterstützung für einen Sprachaufenthalt, um English zu lernen, und für die Ausbildung zum Techniker HF Informatik und Netzwerk. Solche Unterstützungen motivierten mich sehr, der Firma Schindler treu zu bleiben.
Ein weiterer Vorteil ist, dass es auch intern gute Möglichkeiten gibt, neue Herausforderungen anzunehmen, da es viele unterschiedliche Bereiche gibt. Dies ist eine Win-Win-Situation. Auf der einen Seite habe ich die Möglichkeit, einfach neue Bereiche kennenzulernen, auf der anderen Seite profitiert die Firma Schindler davon, dass ich die internen Abläufe und die Firmenkultur schon kenne und ein entsprechendes Netzwerk habe.
War Ihr HF-Abschluss der Beweggrund für die Verlegung Ihres Wohnsitzes nach China?
Nein, eigentlich nicht. Nach dem Abschluss der Ausbildung habe ich intern vom Fabrik-Engineering in das Verkaufsengineering gewechselt. Diese Abteilung hatte noch mehr Kontakt in die ganze Welt. Es hat mich immer schon gereizt, mit Kolleginnen und Kollegen weltweit zusammenzuarbeiten. Auch heute noch ist es für mich sehr spannend, Einblicke in andere Kulturen und Lebensgewohnheiten zu erhalten, und durch diese breite Zusammenarbeit bekommt man einen sehr guten Zugang.
Die HF-Ausbildung hat mir aber sehr geholfen, den ersten Wechsel ins Verkaufsengineering zu vollziehen, da das Anforderungsprofil auch eine entsprechende Ausbildung verlangte.
Seit zwölf Jahren leben und arbeiten Sie in China. War es für Sie dazumal klar, dass Sie für so lange Zeit auswandern werden?
Nein, absolut nicht. Das eine hat das andere ergeben. Zu dieser Zeit arbeitete ich im Engineering-Team für Hochleistungsaufzüge in Ebikon. Wir waren zuständig dafür, spezifische Kundenanforderungen zu lösen. Da der Hochleistungsaufzugmarkt zunehmend in Asien wuchs, wurde auch in China damit begonnen, diese Aufzüge zu produzieren.
Zuerst war der Plan, dass ich zweimal für vier Monate nach China gehe, um Know-how zu vermitteln und technische Trainings zu geben. Die Idee war, dort heimischen Kollegen zu helfen, damit sie lokal Kundenlösungen umsetzen konnten. Während dieser Zeit wurde von der Organisation, in welcher ich dazumal tätig war, die Idee entwickelt, ein Engineering Hub aufzubauen. Ich wurde angefragt, ob ich es mir vorstellen könnte, den elektrischen Teil dieses Aufbaus zu leiten.
Kurz nach dem Start des Engineering Hubs wurde mein Vorgesetzter nach Hong Kong beordert, um eine neue Position zu besetzen, und ich bekam die Chance, die Leitung des Engineering Hubs (elektrisch und mechanisch) zu übernehmen. Nach rund fünf Jahren Aufbauarbeit war es an der Zeit, eine neue Herausforderung anzunehmen. Es hat sich ergeben, dass für das Produkt Schindler PORT ein Kompetenzzentrum aufgebaut werden musste. Ich bekam nun wieder die Chance, dieses Team auf die Beine zu stellen und weiterzuentwickeln.
Wie unterscheidet sich die Arbeitskultur der Schweiz zu China und was sind die grössten Herausforderungen?
Aus meiner Sicht muss in China alles schneller gehen und vieles wird kurzfristig organisiert. Beispielsweise wenn ein Kunde für ein Meeting anfragt, dann sollte das Meeting meistens schon am nächsten Tag stattfinden. Was bedeutet, dass man noch am selben Abend in den Zug oder das Flugzeug steigt und sich eventuell auf einen 1000 Kilometer langen Weg macht, um am nächsten Tag beim Kunden zu sein.
Da alles viel schneller vonstattengeht, werden viele Sachen auch einfach einmal ausprobiert und man diskutiert nicht alle möglichen Szenarien zuerst x-Mal durch. China ist aber auch immer noch im Wandel und auch die Arbeitskultur ändert sich dementsprechend.
In welcher Form konnten Sie vom ODEC profitieren?
Vor einigen Jahren fasste ich eine Weiterbildung zum EMBA ins Auge. Im Ausland wird meistens ein Bachelor- oder Master-Degree verlangt, um in solche Programme aufgenommen zu werden. Durch den «Professional Bachelor» und die dazugehörige Beschreibung stellte es aber kein Problem dar, dieses Aufnahmekriterium zu erfüllen.
Es zeigte sich auch deutlich, dass das Schweizer Bildungssystem einen hohen Stellenwert geniesst, es aber auch wichtig ist, die verschiedenen Stufen klar zu erläutern.
Welche Tipps geben Sie Personen mit, die ihre berufliche Zukunft im Ausland planen?
Ich glaube etwas vom Wichtigsten ist, dass man sich dafür bereit fühlt und man sich darauf einlassen will. Man darf nicht erwarten, dass alles so läuft, wie man es sich gewohnt ist, und sollte bereit sein, andere Vorgehensweisen, Ansichten usw. zu akzeptieren.
Ein weiterer, unumgänglicher Punkt ist, dass man volle Unterstützung des Umfeldes hat. Freunde, Eltern und Partner müssen dahinterstehen, sonst endet es in einem Fiasko.
Es sollte einem auch bewusst sein, dass ein solcher Schritt Spuren hinterlassen wird. Man entwickelt sich weiter, aber auch das gewohnte Umfeld entwickelt sich weiter und wenn man dann einmal zurückkommt, darf man nicht erwarten, dass alles ist, wie es vorher war. Ich kann aber aus Erfahrung sagen, wenn diese Punkte stimmen, kann ich es nur empfehlen, diese Erfahrung zu machen.
Shanghai ist mit über 24 Millionen Einwohnern eine der grössten Städte der Welt und gilt als eine der spannendsten für Touristen. Wie nehmen Sie sie in Ihrem Alltag wahr?
Am Anfang sind vor allem die Grösse und die grosse Menge Leute faszinierend und zugleich herausfordernd. Nach einer Weile gewöhnt man sich daran und es stellt sich ein «normaler» Status ein. Nach ersten Erkundungen schafft man sich dann auch eigene Gewohnheiten, wohin man meistens geht und sich bewegt. Das ist dann nicht mehr gross anders als wenn ich mich in der Region Luzern bewegte. Natürlich bleiben gewisse Aspekte auch verschieden, vor allem die Personendichte. Wie fast immer bringt alles Vor- und Nachteile mit sich. Mobilität, sei es mit Bus, Metro, Mietvelos, Taxi Service etc. sowie Lieferservices aller Art in sehr kurzer Zeit sind nur einige Vorteile. Parkplatzmangel, teils schlechte Luftqualität, ständige Aktivität (z.B. wird sieben Tage die Woche auf Baustellen gearbeitet) sind aus meiner Sicht wiederum Nachteile. Alles in allem ist Shanghai sicher eine sehr spannende Stadt mit vielen Facetten, welche sich lohnen, entdeckt zu werden.
Und wie wurde mit der Covid-Situation in Shanghai umgegangen – gab es Unterschiede zur Schweiz?
Als letzten Februar die Situation in China eskalierte, war ich gerade zu Besuch in der Schweiz. Ich brauchte dann auch einige Anläufe, um einen Rückflug zu bekommen, da Flüge immer wieder annulliert wurden. Schlussendlich war ich Mitte Februar wieder zurück in Shanghai. Da zu diesem Zeitpunkt Europa noch nicht betroffen war, gab es noch keine strengen Massnahmen zur Einreise und ich musste lediglich 14 Tage in Selbstquarantäne. Zu diesem Zeitpunkt war extrem, dass die ganze Stadt sehr ausgestorben wirkte. Es war ja auch ein Lockdown. Supermärkte waren noch offen, aber sonst mehr oder weniger alles geschlossen. Die Versorgung war immer gut gewährleistet.
Ab Mitte März ging es dann langsam wieder in eine Art Normalzustand zurück. Es ist zwar ein neuer Normalzustand, zum Beispiel tragen wir im Büro nach wie vor Masken. Unsere Firma hat auch eine eigene Maskenproduktion in unserer Fabrik in Shanghai eingerichtet.
Einen grossen Unterschied im Umgang sehe ich vor allem in folgenden Punkten:
Bei einem Ausbruch wird sofort reagiert und das entsprechende Quartier oder die entsprechende Region wird in einen Lockdown versetzt. Es wird auch geprüft, mit wem die infizierten Personen in Kontakt waren, und dann werden Quarantänemassnahmen und Tests verordnet. Es ist vor allem die Geschwindigkeit der Reaktion, die beeindruckt.
Des Weiteren stehen die Leute all diesen Massnahmen viel weniger kritisch gegenüber als in der Schweiz. Zum einen ist es systembedingt, zum anderen sind sich die Leute dies von früheren Pandemien schon eher gewohnt. Die Massnahmen werden dann aber auch wieder schnell gelockert, sobald es für einige Zeit keine neuen Fälle mehr gab. Dies gibt dann auch wieder Freiheiten zurück.
Wie sehen für Sie Freizeitgestaltung und persönlicher Ausgleich in einer so lebendigen Stadt aus?
Das gestaltet sich etwas anders als in der Schweiz. Man bewegt sich halt die meiste Zeit in der Stadt. Ich verbringe viel Freizeit mit meiner Familie zuhause. Zudem ist man mit Aktivitäten der Kinder beschäftigt. Sport hilft mir auch, einen Ausgleich zu finden, auch wenn es sich mehr auf Indoor-Sport beschränkt. Es stehen auch viele Freizeitmöglichkeiten zur Verfügung, welche wir aber nur sporadisch nutzen und vor allem zu Zeiten, wenn der Andrang geringer ist.
Vermissen Sie die Schweiz?
Es gibt definitiv gewisse Sachen, die man vermisst. In erster Linie ist es die Familie mit Eltern und Geschwistern sowie Freunde. Heute ist das alles einfacher, da uns viele gute Video-Kommunikationssysteme zur Verfügung stehen und man einfach in Kontakt bleiben kann. Schwieriger wird es da in Sachen Berge und Seen. Diese vermisse ich schon sehr, da ich ein begeisterter Wanderer war und auch Bike-Touren machte. Natürlich gibt es auch schöne Naturgebiete in China, aber es braucht schon ein Flugzeug, um diese zu erreichen. Ist also nicht bloss Haustüre auf und raus.
Was sind Ihre Pläne und Wünsche für die Zukunft?
In naher Zukunft plane ich, noch in Shanghai zu bleiben und meine bisherige Tätigkeit weiterzuführen. In ein paar Jahren wird dann sicher eine Veränderung anstehen. Wie diese genau aussehen wird, kann ich heute noch nicht sagen. Ich bin da auch flexibel. Die grösste Wahrscheinlichkeit ist, dass ich wieder zurück in die Schweiz komme und mich dort wieder niederlasse. Aber wie gesagt, das ist noch offen.
In erster Linie wünsche ich mir vor allem, dass meine Familie und mein Umfeld gesund bleiben und dass wir diese Pandemie möglichst rasch in den Griff bekommen und lernen damit umzugehen und nötigenfalls damit zu leben. Ich hoffe, dass sich die Welt damit arrangieren kann und wir zu einem Normalzustand finden mit einem Miteinander.