HF-Diplomierte sind auf der ganzen Welt begehrt
Lesen Sie die bemerkenswerte Karriere des Betriebstechnikers Stephan Anliker, welcher in unterschiedlichsten Ecken der Welt Verantwortung trägt, die Aufwertung des HF-Titels als essenziell erachtet und weshalb – auch wenn 100 Millionen Euro investiert werden – der Mensch das Wichtigste bleibt.
Mit Stephan Anliker* sprach Jsabelle Tschanen
Stephan Anliker, seit gut zwölf Jahren arbeiten Sie bei der Firma Endress+Hauser Flow als Vice President Operations. Was sind Ihre Hauptaufgaben?
Ich bin als Mitglied der Geschäftsleitung verantwortlich für den Bereich Operations. In dieser Rolle führe ich unsere Werke in Brasilien, China, Frankreich, Indien, in der Schweiz und in den USA, inklusive der Beschaffung und Logistik. Sehr wichtig sind die Strategieentwicklung, die Implementierung und die Adaption. Das Wichtigste aber sind die Menschen. Daher ist es mir ein grosses Anliegen, ein starkes globales Team zu formen und stetig weiterzuentwickeln. Zu einem erfolgreichen Netzwerk gehören auch unsere Endress+Hauser-Sales-Organisationen und unsere strategischen Lieferanten. Die Abstimmung mit diesen Stakeholdern ist essenziell für nachhaltigen Erfolg.
Sie errichteten den Fabrikstandort in Brasilien und trugen die Verantwortung für Fabrikerweiterungen u.a. in China, Frankreich und Indien mit Investitionen über 100 Millionen Euro. Was waren dabei Highlights und Schwierigkeiten?
Das Highlight für mich persönlich ist, dass es uns überall gelungen ist, loyale und hochmotivierte Führungskräfte und Mitarbeitende zu finden. Trotz all der kulturellen Unterschiede sind wir EIN globales Team mit der einmaligen Endress+Hauser-Kultur. Das Ziel ist, dass wir keinen internen Wettbewerb haben, sondern voneinander lernen und uns stetig anspornen, besser zu werden. Bei allen grossen Bauprojekten gibt es immer wieder verschiedene lokale Gegebenheiten, welche Geduld, interkulturelles Verständnis und Kreativität erfordern. Auch bei diesen Themen ist es für mich wichtig, dass ich mich auf meine Mitarbeitenden voll verlassen kann.
Gibt es Strategien, um global ein solch starkes, miteinander verbundenes Team zu formen?
Das Rezept ist geheim wie beim Appenzeller Käse. Spass beiseite – der Schlüssel liegt in den Menschen und unserer Unternehmenskultur. Nach der Übernahme der Verantwortung für unsere Werke habe ich 2011 die «Global Production Week» ins Leben gerufen. Wir haben dazu die Führungskräfte aller Werke zusammengenommen. Aufbauend auf unseren Unternehmenswerten, haben wir gemeinsam unser Zielbild ausgearbeitet. Unser Motto ist «Tough competition to the outside, strong cooperation inside». Damit haben wir den Wettbewerb zwischen den Werken nach aussen verlegt. Der korrosive interne Wettbewerb wird ersetzt durch einen «gesunden» Wettbewerb mit unseren Mitbewerbern im Markt. Danach haben wir gemeinsam die Strategie sowie die darauffolgenden strategischen Konzepte und Projekte erarbeitet und über die Jahre umgesetzt. Wir haben volle Transparenz und Offenheit. Dadurch hat sich ein starkes Vertrauen und ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt. Wir treffen uns jeweils zweimal pro Jahr während einer Woche, um uns immer wieder abzustimmen und, falls notwendig, gemeinsam neu auszurichten. Wir nehmen uns jedes Mal Zeit, um das Thema «Leadership» zu reflektieren. Wir lernen von externen inspirierenden Firmen und Persönlichkeiten und entwickeln unser Führungsverhalten gemeinsam kontinuierlich weiter. Dazu gehören auch gemeinsame Erlebnisse und Events, wie das gemeinsame Fussballspiel. Über die Jahre sind wir nicht nur Geschäftspartner, sondern auch Freunde geworden. Letzen Monat durfte ich in China meine Führungskräfte für ihr 20-Jahr-Firmenjubiläum ehren. Dies zeigt die hohe Verbundenheit zur Firma, aber auch zu den Menschen.
Bei so vielen Auslandeinsätzen, war auswandern nie ein Thema?
Doch, doch. Ich hatte die Möglichkeit, 1991 – damals arbeitete ich bei der Firma Ohaus, einem Tochterunternehmen von Mettler Toledo – für mehr als ein Jahr in den USA zu leben und zu arbeiten. Das war eine wunderbare Zeit, welche meine weitere Berufslaufbahn sehr positiv beeinflusst hat. Nach meiner Rückkehr habe ich sicher alle genervt, weil ich stets alles mit Amerika verglichen habe. Damals waren die USA für mich das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, ein interessanter Schmelztiegel der Kulturen, das Gefühl von Freiheit. Bei meiner Tätigkeit als Industrial Engineer bei Ohaus habe ich intensiv Verbesserungen in den Prozessen und in den Abläufen in der Fertigung realisiert. Dabei hatte ich viel mit Mitarbeitenden zu tun, welche aus Kolumbien eingewandert waren. Wir haben uns von Anfang an gut verstanden. Da es für mich immer ein Traum war, eines Tages als Führungskraft in die USA zurückzukehren, habe ich nach meiner Rückkehr in die Schweiz begonnen, Spanisch zu lernen. Ich wollte bei meiner erneuten Rückkehr in die USA in der Lage sein, mich mit den Spanisch sprechenden Mitarbeitenden in ihrer Muttersprache zu unterhalten. Tatsächlich habe ich ein paar Jahre später, ich war damals nicht mehr bei Mettler Toledo, eine Anfrage von Ohaus erhalten. Nach einem interessanten Besuch bei Ohaus in New Jersey hatte ich meinen Traumvertrag als «Director Operations» in der Hand. Nach der Rückkehr in die Schweiz musste ich die Wahl treffen: Liebe oder Traumjob. Die Liebe hat gesiegt. Darum bin ich nicht ausgewandert. Die USA sind aber für mich wie eine zweite Heimat geworden.
Die Covid-Krise hat Ihr Arbeitsleben sehr geprägt. Welchen Herausforderungen mussten Sie sich stellen?
Die Covid-Krise war die grösste Herausforderung in meinem bisherigen Berufsleben. Ich hatte die Verantwortung für die Sicherstellung der weltweiten Beschaffung, die Führung der Werke in stark von Covid betroffenen Regionen wie Elsass, Indien, China und Brasilien und die Belieferung unserer Kunden, von denen viele im Bereich der kritischen Infrastrukturen Wasser/Abwasser, Food, Pharma und Life Sciences auf uns angewiesen sind. Noch viel schwerer wog aber die Verantwortung für die Sicherheit und Gesundheit meiner Mitarbeitenden und ihrer Familien. Gerade in dieser Zeit hat sich gezeigt, dass uns unsere gute Unternehmenskultur starkmacht. Jedes Werk hat dem anderen geholfen. Es gab keinen Egoismus. Unsere Führungskräfte und Mitarbeitenden haben in den schwierigsten Phasen das grösste Mass an Mut, Loyalität, Menschlichkeit und Einsatz gezeigt. Es war einfach unglaublich. Heute ist unsere Beziehung noch viel stärker als zuvor.
Welche Gründe haben Sie zum HF-Studium (damals noch TS-Studium) in Betriebstechnik geführt und was hat es Ihnen gebracht?
Nach einer sehr erfolgreichen Mechanikerlehre in einem KMU bin ich ans «Technikum» HTL, um Maschinenbau zu studieren. Es war für mich alles sehr theoretisch und ich konnte mir nicht vorstellen, wofür das Gelernte gut sein sollte. Nach vier Semestern war klar, dass sich etwas ändern musste. Zum Glück konnte ich eine Stelle als Industrial Engineer bei Mettler Toledo, ein Unternehmen mit tollen Menschen und einer guten Kultur, antreten. In meiner Abteilung hatte es viele motivierte HF-Absolventen. Da war für mich schon in den ersten Tagen klar, dass ich diese Schule auch machen möchte. Die Kombination von Praxis in einem motivierenden Umfeld und Theorie war für mich ideal. Dies hat sich sowohl bei der Arbeit als auch bei den Noten gezeigt. Vielen Dank Peter, Ueli, Norbi, Pius und Co.
Welche Weiterbildungen haben Sie danach absolviert und was haben Sie sich davon versprochen?
Plötzlich hat Lernen für mich Sinn gemacht. Daher war es für mich klar, nach meinem USA-Aufenthalt das Nachdiplom NDS-HF Betriebswirtschaft zu absolvieren. Nach der Zeit bei Mettler Toledo war ich in einem KMU Mitglied der Geschäftsleitung. Die Aufgabe war sehr spannend. Es ist uns gelungen, aus einem kriselnden ein blühendes Unternehmen zu machen. Das war eine grossartige Zeit. Es ist mir dabei aber bewusst geworden, dass ein weiterer Karriereschritt in einem grösseren Unternehmen auch eine entsprechende Weiterbildung braucht. Zudem war ich sehr motiviert, noch mehr zu lernen. Darum habe ich den MBA an der Strathclyde University absolviert. Dies hat mir sicher später bei der Bewerbung bei Endress+Hauser geholfen. Hier durfte ich dann nach ein paar Jahren zur Vorbereitung meiner heutigen Aufgabe das sechswöchige Stanford Executive Program SEP in Palo Alto besuchen. Ich bin fest überzeugt, dass das notwendige Rüstzeug ein grosser Vorteil ist, um Herausforderungen besser meistern zu können.
Sie sind seit 32 Jahren Mitglied beim ODEC. Was ist Ihre Motivation, Mitglied beim ODEC zu sein?
Für mich ist die Ausbildung HF eine sehr wichtige Ausbildung. In unserem sehr erfolgreichen dualen Ausbildungssystem muss diese Stufe anerkannt und gestärkt werden. Der ODEC setzt sich dafür sehr aktiv ein. Darum bin ich ein stolzes Mitglied.
Sie waren unter den ersten ODEC-Mitgliedern, die den «Professional Bachelor ODEC» und den «Ing. EurEta» beantragten. Welche Erfahrungen haben Sie mit diesen Titeln gemacht?
In den USA war es immer schwierig für mich. Ich wusste nicht, ob ich mich nun Engineer nennen durfte oder nicht, obwohl ich als gelernter Mechaniker und Betriebstechniker HF den amerikanischen Engineers in keiner Weise unterlegen war. Im Gegenteil: Die Mitarbeitenden haben meinen Praxisbezug geschätzt. «Wow, ein Engineer, der selber einen Bohrer schleifen kann.» Das hat sich sofort herumgesprochen. Danach hat der Chef des «Toolrooms» alle meine Wünsche für den Werkzeugbau mit oberster Priorität erfüllt. Einige sehr kompetitive und ambitionierte amerikanische Engineers haben plötzlich den «Swiss Engineer» als gefährliche Konkurrenz für ihre Promotion gesehen. Darum war und ist es mir wichtig, dass die Absolvierenden HF einen international adäquaten Titel erhalten. Der «Ing. EurEta» war damals der erste Schritt in diese Richtung. Je mehr internationale Führungskräfte und HR-Mitarbeitende in der Schweiz arbeiten, desto essenzieller ist es, dass der HF-Titel aufgewertet wird. Ohne Bachelor oder Master fallen diese gut ausgebildeten Mitarbeitenden durch das Raster. Damit schwächt die Schweiz unser duales Bildungssystem massiv. Wir brauchen je länger je mehr aufgrund der Digitalisierung und Automatisierung gut ausgebildete Mitarbeitende mit Praxisbezug, damit wir die Potenziale effizient nutzen können. Glauben Sie mir, die Absolvierenden HF stehen den Engineers aus China, Indien, Frankreich, USA und Brasilien in nichts nach. Im Gegenteil: Ihre praxisbezogene Erfahrung macht sie so wertvoll. Ich kann das aufgrund meiner Erfahrung in diesen Ländern sehr gut beurteilen.
Was sind Ihre Wünsche für die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass die Schweiz weiterhin ein Land bleibt, wo jede und jeder die Möglichkeit hat, mit Fleiss und Ausdauer ein gutes, sicheres Leben führen zu können. Dazu gehört das starke duale System mit der Möglichkeit, sich auf verschiedenen Stufen weiterzubilden. Ausserdem wünsche ich mir Freundlichkeit, Grosszügigkeit, Toleranz, Lösungsorientierung.
Steckbrief*
Name: Stephan Anliker
Jahrgang: 1964
Wohnort: Dornach SO
ODEC-Mitglied: seit 1991
Aktuelle berufliche Tätigkeit: Vice President Operations Endress+Hauser Flowtec AG
Lehre: Mechaniker
HF-Studium: Betriebstechnik, ITA Zürich
Weiterbildung: NDS-HF Betriebswirtschaft, SFB Master of Business Administration MBA, Strathclyde University SGBS (UK); Executive Program SEP, Stanford University (USA); Leadership Journey IMD + Endress+Hauser (CH)
Hobbys: Familie, Fussball, Sport allgemein, Geschichte, Kochen