«LehrstellenPuls Schweiz» misst den Einfluss der Corona-Pandemie auf Lehrbetriebe und Lernende
Die Coronakrise hält die Schweiz seit März in Atem. Auch Lehrbetriebe und Lernende haben mit der Corona-Situation zu kämpfen. Damit den Verbundpartnern zeitnah Informationen zur Verfügung gestellt werden können, hat die Professur für Bildungssysteme an der ETH Zürich in Zusammenarbeit mit der Lehrstellenplattform Yousty das Forschungsprojekt LehrstellenPuls initiiert. Der heutige Beitrag informiert über erste Befunde seit dem Shutdown. Während des Shutdowns konnte etwa ein Drittel der aktuellen Lernenden den betriebspraktischen Teil der Ausbildung entweder nicht oder nur in einer alternativen Form durchführen.
Vom Forschungsteam LehrstellenPuls*
Laut Bundesamt für Statistik sind im Jahr 2019 insgesamt 220'894 Jugendliche in einer dualen Berufsbildung. Rund 162'000 junge Erwachsene stehen gemäss Lehrstellenbarometer von 2017¹ vor der Entscheidung, welche Anschlusslösung auf Sekundarstufe II sie wählen sollen. Es handelt sich also um eine Gruppe von Betroffenen, die für die berufliche Nachwuchssicherung relevant ist. Unser Forschungsprojekt konzentriert sich auf folgende Untersuchungsgruppen²: Erstens geht es um Jugendliche, die eine Lehrstelle suchen (G1), zweitens untersuchen wir aktuelle Berufslernende, die sich nicht in ihrem letzten Jahr befinden (G2) und drittens richten wir unsere Aufmerksamkeit auf Lernende, die vor dem Lehrabschluss stehen und anschliessend einen Job auf dem Arbeitsmarkt suchen. Monatlich beteiligten sich rund 2700 Firmen an der Umfrage, welche ungefähr 25'000 Berufslernende ausbilden.
Zukünftige Berufslernende – Lehrstellenmarkt
Bei G1 konnten wir in den Monaten April bis September aufzeigen, dass der Lehrstellenmarkt gut funktioniert. Einzig in der lateinischen Schweiz besteht Aufholbedarf. Dies hängt mitunter damit zusammen, dass diese Sprachregion erst diesen Frühling mit der Rekrutierung der zukünftigen Lernenden begonnen hat. Seit August 2020 befragen wir Lehrbetriebe zum Lehrstellenangebot für das nächste Jahr. Auch wenn es im Moment noch etwas früh ist, ein Urteil abzugeben, so ist die Entwicklung seit August gemäss Abbildung 1 leicht besorgniserregend, denn das Angebotsverhalten der Lehrbetriebe hat sich gegenüber Lehrbeginn 2020 eher negativ verändert.
Im Zusammenhang mit der zweiten Coronawelle ist mit weiteren wirtschaftlichen Einbussen und Konkursen zu rechnen. Deshalb muss nicht nur dem Lehrstellenmarkt besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, sondern auch den aktuellen Lernenden. Die Coronakrise trifft sie je nach Berufsfeld ganz unterschiedlich, wie die folgenden Ausführungen zeigen werden. Dies kann zu Chancenungleichheit führen.
Aktuelle Berufslernende
Abbildung 2 zeigt, dass im Oktober 92% (64% während des Shutdowns im April) die in die Studie einbezogenen Lernenden (G2, G3) den berufsbegleitenden Teil ihrer Lehre meist wie gewohnt am Arbeitsplatz absolvieren konnten (vorbehaltlich der verordneten Schutzmassnahmen). 6% (25% im April) der Lernenden mussten in einer anderen Abteilung arbeiten oder hatten einen limitierten Einsatz. 11% (37% im April) arbeiteten im Homeoffice. Einige waren ebenfalls zu Hause, sie konnten aber nicht produktiv arbeiten. Stattdessen erhielten 1% (23 % im April) Hausaufgaben und 0,2% (9 % im April) erhielten gar keine betriebliche Bildung.³
Die betriebliche Situation nach der Öffnung des Shutdowns hat sich zu einem grossen Teil normalisiert. Allerdings können wir in den Daten der vergangenen Monate erste Anzeichen erkennen, dass sich die Situation wegen der steigenden Corona-Infektionen wieder verschlechtern könnte, indem wieder mehr Jugendliche zu Hause bleiben müssen und entweder im Homeoffice arbeiten oder nicht produktiv arbeiten können.
Dass solche Entwicklungen nicht ohne Einfluss auf das Abschlusszeugnis sein werden, können wir bereits erahnen. So schätzen die Lehrbetriebe auf einer Skala von 1 (kann überhaupt nicht aufgeholt werden) bis 5 (kann vollständig aufgeholt werden) die Situation im Oktober mit durchschnittlich 4,34 (betriebliche Bildung), 3,99 (schulische Bildung) und 4,19 (überbetriebliche Kurse) ein. Obwohl vermutet wird, dass ein grosser Teil des Lerninhaltes noch aufgeholt werden kann, erwarten Arbeitgeber also dauerhafte Verluste bis Ende der Berufslehre.
Lernende am Übergang in den Arbeitsmarkt
Dieses Jahr waren die Abschlussklassen, welche am Übergang in den Arbeitsmarkt stehen, besonders betroffen. Wie Abbildung 3 zeigt, wurden in den meisten Berufsfeldern weniger Lernende als im Vorjahr im eigenen Betrieb angestellt. Die Unterschiede zwischen den Berufsfeldern sind zum Teil beträchtlich und zeigen, dass die Coronakrise die Wirtschaft ganz unterschiedlich trifft. Am stärksten betroffen sind die Berufsfelder Verkauf/Einkauf, Bau und Metall/Maschinen/Uhren.
Das LehrstellenPuls-Team wird die Entwicklungen bei Lehrbetrieben und Jugendlichen weiterhin monatlich verfolgen und die Verbundpartner zeitnah über Ergebnisse orientieren, damit insbesondere die Taskforce Berufsbildung 20204 entsprechende Massnahmen ergreifen kann.
Dank allen Beteiligten
An dieser Stelle danken wir allen beteiligten Lehrbetrieben, welche sich die Zeit nehmen, jeden Monat die Kurzumfrage auszufüllen. Gerade in den kommenden Monaten zählt jede Rückmeldung, geht es doch darum, zu identifizieren, welche Berufsfelder besonders von der zweiten Coronawelle betroffen sind und wie die Verbundpartner unter der Leitung der Taskforce Berufsbildung 2020 massgeschneiderte Lösungen einleiten können, um Chancenungleichheit einzudämmen.
In diesem Kurzbeitrag konnten wir nur wenige ausgewählte Resultate beschreiben. Der LehrstellenPuls wird die monatlichen umfassenderen Resultate jeweils in einem Webinar präsentieren. Interessierte sind herzlich eingeladen, sich über die Website www.lehrstellenpuls.ch dafür zu registrieren. Zudem können sich Organisationen der Arbeitswelt bei uns melden, wenn sie das Forschungsprojekt ideell unterstützen möchten, sodass wir den Verband in der Liste der unterstützenden Organisationen aufführen können.
* Thomas Bolli, Katherine M. Caves, Filippo Pusterla, Ladina Rageth, Ursula Renold, Aranya Sritharan, Sandra Trachsel Díaz-Tejeiro. Kontaktadresse: ursula [dot] renold [at] mtec [dot] ethz [dot] ch