Erkenntnisse aus dem LELAM-Projekt: Die Bedeutung von sozialen Institutionen

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Bildungssysteme weltweit verfolgen gemeinsame Ziele wie die Förderung unabhängiger Individuen, die zur Gesellschaft beitragen können. Gleichzeitig stehen sie vor ähnlichen Herausforderungen zur Erreichung dieser Ziele. Bildungssysteme anderer Länder können nicht einfach kopiert werden. Dies liegt an den Unterschieden in sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Kontexten. Dennoch ist es sinnvoll, Wege zu finden, wie Bildungssysteme voneinander lernen können. Dafür ist eine gemeinsame Sprache notwendig. Das LELAM-Projekt widmete sich sieben Jahre lang der Erforschung der Frage, wie die Berufsbildung das Einkommen von Jugendlichen verbessern, die Qualität der Bildung erhöhen und
anständige Arbeit fördern kann. Das Projekt konnte Ergebnisse in vier teilnehmenden Ländern sammeln. Diese Erkenntnisse können auch für andere Länder, einschliesslich der Schweiz, hilfreich sein.


Von Ditjola Naço & Patrick McDonald*


Im Mai 2024 wurde das Projekt Linking Education and Labor Markets (LELAM)-TVET4Income nach sieben erfolgreichen Jahren abgeschlossen. Dieses Projekt war eine Zusammenarbeit zwischen der Professur für Bildungssysteme und dem NADEL Center for Development and Cooperation der ETH Zürich, der Universität Kathmandu in Nepal, der Universität Abomey-Calavi in Benin, der Universität Costa Rica und der Alberto Hurtado Universität in Chile. Es wurde gemeinsam von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit und dem Schweizerischen Nationalfonds im Rahmen des «Swiss Programme for Research on Global Issues for Development» finanziert.

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Das Ziel des Projektes bestand darin, herauszufinden, unter welchen Bedingungen Berufsbildung (TVET¹) das Einkommen von Jugendlichen in den oben genannten Ländern verbessern kann. Innerhalb dieses übergreifenden Themas konzentrierte sich das Projekt auf vier Hauptbereiche: 1) die Definition und Messung sozialer Institutionen von Berufsbildung, 2) die Bewertung der Jugendarbeitsmarktsituation in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, 3) die Verbesserung der Verknüpfung zwischen Akteuren des Bildungs- und Beschäftigungssystems sowie 4) die Förderung der Implementierung systemischer Veränderungen in der Berufsbildung.

Das Projekt lieferte neue Erkenntnisse in all diesen Bereichen und bot wichtige Einsichten, die auch zur Verbesserung des Schweizer Berufsbildungssystems beitragen können. In diesem Artikel stellen wir ein spezifisches Beispiel vor, nämlich das der sozialen Institutionen von Berufsbildungsprogrammen.

Soziale Institutionen

Bildungsprogramme wollen Jugendliche ausbilden und auf das Leben in der Gesellschaft vorbereiten. Unterschiede in sozialen, geografischen und wirtschaftlichen Kontexten erschweren jedoch den Vergleich dieser Programme zwischen verschiedenen Ländern. Die soziologische Theorie begegnet diesem Problem mit dem Konzept der sozialen Institutionen. Soziale Institutionen sind gemeinsame Verhaltensmuster, die in der Gesellschaft Funktionen erfüllen, um ein Problem zu lösen. Obwohl diese Theorie gut etabliert ist, mangelt es oft an praktischer Anwendung und Klarheit darüber, wie die Stärke einer sozialen Institution die Ergebnisse beeinflusst.

Das Forschungsteam hat sich dieses Problems durch die Entwicklung eines theoretischen Rahmens und dessen praktische Anwendung auf Berufsbildungsprogramme angenommen. Der theoretische Rahmen nutzt die bestehende Literatur, um die Robustheit sozialer Institutionen durch drei Hauptdimensionen zu bewerten: Qualitätscharakteristiken, die Phase der Institutionalisierung, und den Verbreitungsgrad der sozialen Institutionen. Tabelle 1 zeigt diese Dimensionen.

Dieser theoretische Rahmen ermöglicht einen länderübergreifenden Vergleich und eine vertiefte Analyse, um besser zu verstehen, wie robuste soziale Institutionen zum Erfolg von Bildungsprogrammen beitragen. Da Bildungsprogramme darauf abzielen, gemeinsame Ziele zu erreichen, kann ihr Erfolg mit der Robustheit ihrer zugrunde liegenden sozialen Institutionen verknüpft werden.

Messung der Robustheit sozialer Institutionen im Kontext von Berufsbildungsprogrammen

Das Forschungsteam hat den theoretischen Rahmen praktisch anwendbar gemacht, indem es die sozialen Institutionen verschiedener Prozesse von Berufsbildungsprogrammen identifiziert. Wir haben daher Experten im Bereich der Berufsbildung in Benin, Costa Rica, Nepal und der Schweiz befragt. Diese Umfrage misst die Robustheit sozialer Institutionen in zehn Prozessen von Berufsbildungsprogrammen sowie des Programms insgesamt. Die Umfrageergebnisse zeigen, dass die Funktion der wichtigste Treiber für die Robustheit ist, gefolgt von der Klarheit der Struktur und der Kultur der Beteiligung. Dieser umfassende Ansatz zur Bewertung von Berufsbildungsprogrammen liefert wertvolle Erkenntnisse darüber, was Bildungssysteme in verschiedenen Kontexten effektiv macht.

Durch die Adressierung der Lücke in der praktischen Anwendung bietet die Arbeit des Forschungsteams eine robuste Methode zum Vergleich von Bildungssystemen und ebnet den Weg für verbesserte Bildungspolitiken und -praktiken.

Wie robust ist die berufliche Grundbildung in der Schweiz?

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Die Ergebnisse der Umfrage ermöglichen es uns, einen Robustheitsindex für die sozialen Institutionen von Berufsbildungsprogrammen zu entwickeln. Abbildung 1 zeigt die Ergebnisse des Index sowie der verschiedenen Dimensionen für die untersuchten Länder. Die sozialen Institutionen der beruflichen Grundbildung in der Schweiz erreichen die höchste Punktzahl, liegen aber nur knapp über der des dualen Berufsbildungssystems in Benin, das auf dem traditionellen Lehrlingsmodell des Landes basiert. Die schulischen Berufsbildungen in Costa Rica und Nepal bilden das Schlusslicht.

Die Schweiz schneidet in den Bereichen Funktion und Struktur relativ gut ab. Hingegen sind die Werte für die Kultur etwas niedriger und auch die Werte für die Sanktionen, den Verbreitungsgrad und die Phase der Institutionalisierung deuten auf verbesserungswürdige Bereiche hin. Allerdings ist anzumerken, dass sich die Anwendung von Sanktionen in allen bisher untersuchten Ländern als Schwachpunkt erwiesen hat. Zudem deuten die Ergebnisse darauf hin, dass es Verbesserungspotenzial in den bedeutsamen Punkten Struktur und Kultur gibt. Dies deutet darauf hin, dass die am Programm beteiligten Akteure sicherstellen sollten, dass die Ziele des Programms klar sind, verstanden und weithin geteilt werden, damit die Qualität des Programms und seine Ergebnisse für die Jugendlichen auf dem höchstmöglichen Niveau bleiben.

Wir weisen darauf hin, dass sich diese Forschungsrichtung noch in der Entwicklung befindet und die Ergebnisse noch von kleinen Stichproben der an dem Programm beteiligten Personen stammen. Nichtsdestotrotz bieten sie eine neue, kontextunabhängige Möglichkeit, die Qualität von Berufsbildungsprogrammen zu verstehen und Verbesserungsmöglichkeiten vorzuschlagen.

* Professur für Bildungssysteme, ETH Zürich
¹TVET: technical and vocational education and training

Quellenverzeichnis
K.M. Caves, L. Rageth & U. Renold (2024). Apples inside orange peels: Exploring the use of functional equivalents for comparing curriculum processes across contexts. Research in Comparative and International Education, 0(0), 1-20.

P. McDonald, T. Bolli, K.M. Caves & U. Renold (2024). What makes Social Institutions of Vocational Education Systems Robust? CES Working Papers, 25.

P. McDonald, P. Bordón Tapia, S. Camacho Calvo, J.​García Fallas, E. Gandonou, I. Günther, ... & G.S.Nouatin (2024). LELAM-TVET4INCOME: Scientific summary report. LELAM-TVET4INCOME Working Paper Series, 23.

L. Rageth, K.M. Caves & U. Renold (2021). Operationalizing institutions: a theoretical framework and methodological approach for assessing the robustness of social institutions. International Review of Sociology, 31(3), 507-535.